Zitate und Zitierweise in Madhva's Bhagavadgītābhāṣya

21.11.2000

Elisabeth Hofstätter

  • Betreuung: Roque Mesquita

Der in einer Tulu-Brahmanen-Familie in der Nähe von Udupi in Karṇāṭaka geborene Madhva schuf zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts ein völlig neues dualistisches vedāntisches System, welches seit seiner Aufnahme in Sāyaṇa Mādhavas Sarvadarśanasaṃgraha neben Advaita und Viśiṣṭādvaita als gleichwertiges orthodoxes System des Vedānta gilt. Dem Usus der vedāntischen Traditionen folgend, hat auch Madhva zu allen Werken des Prasthānatraya, i.e. Upaniṣaden, Brahmasūtras und Bhagavadgītā, Kommentare verfasst. Einer dieser Prasthānatraya-Kommentare, nämlich sein Bhagavadgītābhāṣya (BhGBh), bildet den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Diplomarbeit.
Madhvas Werke sind uns großteils in einem Unikat, das von einem seiner direkten Schüler in Kannaḍa-Schrift erstellt wurde, zugänglich. Merkwürdigerweise ist gerade das BhGBh darin nicht enthalten. Es ist unklar, weshalb der Schüler gerade ein derart wichtiges Werk nicht in sein Textkorpus aufgenommen hat. Dies verwundert umso mehr, als die Schultradition die Meinung vertritt, daß es sich beim BhGBh um das erste Werk Madhvas handelt.
Die Diplomarbeit gliedert sich nach einigen einleitenden Bemerkungen zum Autor und zur Textgeschichte (p. 1-14) in zwei große Abschnitte, wobei der erste Abschnitt (p. 16-127) aus einer Zusammenstellung und Analyse sämtlicher 798 Zitate besteht, welche Madhva innerhalb des BhGBh zur Untermauerung seiner Thesen heranzieht. Denn wie die übrigen Kommentare Madhvas zum Prasthānatraya, besteht auch sein BhGBh über weite Strecken aus einer Kette von Zitaten aus der Śruti- und Smṛti-Literatur, die oft nur von kurzen Prosaerklärungen unterbrochen werden, wobei sich vielfach der gesamte Lehrinhalt ohne eine weitere Stellungnahme Madhvas in diesen Zitaten findet.
Dieser erste Abschnitt zerfällt wiederum in 3 Teile:

  1. Zunächst wird eine detaillierte Zusammenstellung sämtlicher Angaben von Quellen geboten, auf welche sich Madhva im Zuge seines BhGBh beruft (p. 23-49).
  2. Daran schließt sich eine Aufstellung der identifizierten Zitate mit exakter Quellenangabe an. Die Anordnung richtet sich dabei nach der alphabetischen Reihenfolge der Werke, aus denen die Zitate entnommen wurden. Festgestellte Abweichungen werden in den Fußnoten behandelt (p. 50-75).
  3. Zuletzt findet sich eine alphabetische Zusammenstellung all jener Zitate, deren Identifizierung nicht gelungen ist (p. 76-127), um so weitere Forschungen zu erleichtern.


Betrachtet man die Quellen, denen Madhva diese Zitate zuordnet, so können grob 4 Gruppen unterschieden werden:

  1. Zitate aus der bekannten Śruti- und Smṛti-Literatur
  2. Zitate aus unbekannten Śruti-Werken
  3. Zitate aus uns unbekannten Āgama/Saṃhitā-Werken
    Insgesamt fallen 308 Zitate unter diese drei Quellengattungen.
  4. 490 Zitate, die unbestimmt bloß unter Verwendung von iti, iti ca u.ä. angeführt werden.

Aus der Gesamtheit dieser 798 Zitate konnten nur 469 Zitate — entsprechend 59% — identifiziert werden. Dabei ist festzustellen, daß die Identifikation jener Zitate, welche bestimmten Werken zugewiesen werden, mit 57% etwa gleich oft gelungen ist wie im Falle der unbestimmt mit iti abgegrenzten Passagen, welche sich zu 59% identifizieren lassen.
Die Quellenproblematik im Schaffen Madhvas wurde innerhalb der Fachwelt bereits seit längerem diskutiert, da spätestens seit Veṅkaṭanātha Zweifel hinsichtlich der Echtheit dieser Quellen vorgebracht wurden. Wurde früher in der westlichen Forschung (so etwa von Heimann und Glasenapp) überwiegend die Ansicht vertreten, Madhva hätte es vor seinen Zeitgenossen nicht verantworten können, seine Quellen in solch großem Stil zu erfinden, so ist es Mesquita 1997 in seiner detaillierten Studie gelungen, eine Fülle an Material und Beweisen zusammenzustellen, die den Schluß nahe legen, daß Teile der Zitate Madhvas entweder gänzlich aus seiner Feder stammen oder aber bestehende Textstücke von ihm auf verschiedenste Weise verändert, erweitert oder interpoliert wurden — eine Ansicht, die auch von mehreren modernen indischen Autoren wie etwa Venkatasubbiah geteilt wird.
Entsprechend werden im zweiten Abschnitt der Diplomarbeit (p. 128-276) jene Zitate, deren Identifizierung nicht gelungen ist, dahingehend untersucht, ob die Forschungsergebnisse Mesquitas durch die Resultate der gegenständlichen Untersuchung weiter bekräftigt werden bzw. ob sich durch die Analyse der unidentifizierten Zitate zusätzliche Hinweise auf die Verfasserschaft Madhvas ergeben. Zu diesem Zweck werden ausgewählte Textstellen, anhand derer sich die Arbeitsweise Madhvas besonders deutlich zeigen läßt, vorgestellt und einer entsprechenden Analyse unterzogen, wobei zum besseren Verständnis jeweils der Kontext, in welchem die behandelten Zitate auftreten, kurz dargestellt wird.
Neben den bereits angesprochenen Zitaten aus Werken, welche außer Madhva niemandem bekannt gewesen zu sein scheinen, finden sich auch zahlreiche Zitate, welche durchaus bekannten Werken zugeschrieben werden — zumeist handelt es sich dabei um Purāṇas —, welche dort jedoch nicht verifiziert werden konnten.
Natürlich ist nicht auszuschließen, daß Madhva diese Werke in einer anderen Form gekannt hat als derjenigen, in der sie uns heute vorliegen. Manche Zitate mögen auch mangels geeigneter Indices etc. einer Identifizierung entgangen sein. Nichtsdestotrotz bleibt jedoch das auffallende Faktum bestehen, daß Madhva gerade dort unbekannte Werke bzw. unidentifizierbare Zitate aus bekannten Werken heranzieht, wo er seine ureigenen Lehren vorträgt. Ein weiteres Merkmal dieser Quellen bildet zudem ihre auffallende Ähnlichkeit mit den vorangehenden Selbstaussagen Madhvas. Dabei beschränkt sich die Ähnlichkeit vielfach nicht nur auf den Inhalt, sondern erstreckt sich zumeist sogar auf die Wortwahl.
Ferner läßt sich innerhalb von Madhvas BhGBh auch der Usus feststellen, daß die unidentifizierbaren Zitate vielfach in einen Rahmen aus Zitaten bekannter Texte, deren Autorität einwandfrei gesichert ist, eingebettet sind. Dahinter könnte die Absicht stehen, so die Glaubwürdigkeit dieser Zitate zu erhöhen.
Aber auch andere stilistische Eigenarten bieten Hinweise auf die Verfasserschaft Madhvas. Zu diesen können etwa die anathema-artigen Abschlüsse durch na saṃśayaḥ, na cātra śaṅkā, nānyatas tu kathañcana u.ä., wie sie uns gehäuft in den unidentifizierbaren Zitaten begegnen, gezählt werden.
Somit konnte durch die Beobachtungen an Madhvas BhGBh vor allem das erste der von Mesquita erarbeiteten redaktionskritischen Argumente für die Verfasserschaft Madhvas, wonach alle unbekannten Werke oder Werkteile bekannter Werke oder auch alle anonym überlieferten Textstücke auf Madhva zurückgehen, wenn diese nur bei ihm allein vorkommen und eigentümliche Lehren der Madhva-Schule vertreten, weiter erhärtet werden.
Für die Vorgangsweise Madhvas, die fiktiven Quellen Vyāsa/Viṣṇu in den Mund zu legen, finden sich hingegen in Madhvas BhGBh nur relativ wenige Beispiele, unter diesen jedoch einige besonders eindrucksvolle.
Offenbar bereiteten die unbekannten Quellen auch der Tradition der Mādhvas selbst einiges Unbehagen. Dafür würden Legenden sprechen, die uns etwa von der umfangreichen Bibliothek Madhvas berichten oder von seiner athletischen Konstitution, die ihm Zugang zu seltenen Texten verschaffte, die selbst seinen Schülern verborgen blieben. Mythen wie diese dürften in der Tradition der Mādhvas schon früh dazu gedient haben, die Herkunft der unbekannten Quellen Madhvas zu erklären.
Insgesamt muß die Vorgehensweise Madhvas jedoch immer auch im Lichte seines Anspruchs, ein Avatāra und Verkünder aller kanonischen Schriften (sadāgama) im Kali-Yuga zu sein, gesehen werden und darf nicht einfach als "literarischer Betrug” (svamātrakalpita/svakapolakalpita), wie es seine Gegner behaupteten, abqualifiziert werden.