Forschungsschwerpunkte

Im südasienkundlichen Bereich bestehen mit der Philosophie- und Religionsgeschichte Südasiens, der Literaturgeschichte und der Erforschung ausgewählter Wissenschaftstraditionen des Kulturraums sowie der Kultur- und Gesellschaft des modernen Südasien mehrere große Forschungsschwerpunkte am Institut.

Derzeitiger besonderer Arbeitsschwerpunkt innerhalb der Philosophie- und Religionsgeschichte ist die Erschließung der Geschichte und Begriffswelt einerseits der brahmanischen philosophischen Traditionen Nyāya, Vaiśeṣika, Sāṃkhya und Yoga, ergänzt durch die Erforschung der südindischen viṣṇuitisch-tantrischen Tradition des Pāñcarātra, andererseits der philosophischen Tradition der Jainas. Die literaturgeschichtliche Forschung konzentriert sich auf die Kunstdichtung (kāvya) in Sanskrit und den Prakrit-Sprachen, vor allem unter religions- und überlieferungsgeschichtlichen sowie poetologischen Aspekten. Von den wissenschaftlichen Traditionen Südasiens finden die klassische Medizin (Āyurveda) und ihre Literatur bis in die Neuzeit hinein unter ihren vielfältigen Aspekten besondere Beachtung in der Forschung, ferner die auf das Sanskrit bezogene einheimische grammatische Tradition, die Poetologie (Alaṃkāraśāstra) und die Wissenschaft von den sozio-religiösen Normen (Dharmaśāstra). Die Arbeit mit handschriftlichen Quellen, besonders im Rahmen der Erarbeitung von kritischen Ausgaben, in vielen der genannten Bereiche hat zur Entwicklung von Expertise in der Paläographie und Kodikologie von Sanskrit-Handschriften und zur Erarbeitung computergestützter textkritischer Methoden geführt. Im Zusammenhang mit allen Schwerpunkten wird der philologisch–ideengeschichtlicher Zugang gepflegt, ergänzt durch jeweils geeignete weitere methodische Ansätze.

Im Bereich der Kultur und Gesellschaft des modernen Südasien liegt das Hauptaugenmerk der Forschung bislang auf der Geschichte und Selbstdarstellung ethnischer Minderheiten und der Dokumentation sowie Interpretation oraler und ritueller Traditionen in Südasien, insbesondere im Himalayaraum, unter Anwendung von kulturanthropologischen und religions- sowie anderen geisteswissenschaftlichen Methoden. Ferner werden verschiedene Untersuchungen zu den Sprachen und Literaturen des neuzeitlichen und gegenwärtigen Südasien durchgeführt, wobei Hindi und Nepali sowie Sprachen des östlichen Himalayaraums aus der großen Familie der tibetobirmanischen Kiranti-Sprachen im Zentrum stehen. Auch die moderne Geschichte und Sozialgeschichte Südasiens, insbesondere des Nordens des Subkontinents und des zentralen und östlichen Himalaya, finden Beachtung in der Forschung. Weitere aktuelle Forschungsthemen sind im Bereich der Religions- und Kunstgeschichte dieses weiten geographischen Raumes angesiedelt. Besondere Erwähnung verdient ein Projekt zur Bearbeitung des wissenschaftlichen Nachlasses des österreichischen Kulturanthropologen René de Nebesky-Wojkowitz.

Im Bereich Tibetologie und Buddhismuskunde liegt ein erster Schwerpunkt auf der Philosophie- und Religionsgeschichte des Buddhismus in Südasien und Tibet (im letzteren Fall unter besonderer Berücksichtigung der geistesgeschichtlichen Bezüge zu Südasien) und seinen in Sanskrit, Pāli und anderen mittelindischen Sprachen, Tibetisch und Chinesisch überlieferten Quellen. Neu als Schwerpunkte hinzugekommen sind Forschungen zu buddhistischen Identitäten in Asien, speziell im Kontext von interreligiöser Konfrontation und dem Austausch von Ideen, sowie zur Literatur- und Sozialgeschichte Tibets, wie etwa zur Verschmelzung der Gelehrten- mit den Praxistraditionen in den Werken tibetischer Meister. Als besonderer Arbeitsschwerpunkt im Bereich der Philosophie- und Religionsgeschichte – insbesondere des Mahāyāna-Buddhismus – in ihrem weiteren geistes- und kulturgeschichtlichen Kontext verdient die Erforschung der weit über Südasien hinweg wirkungsmächtigen Tathāgatagarbha- und Buddhanatur-Tradition Erwähnung, wie auch Arbeiten zu den auf mahāmūdra-Praktiken basierenden philosophischen Lehren Tibets, insbesondere der gzhan stong-Philosophie, die gleichermaßen vor ihrem südasiatischen Hintergrund und unter text-, literatur-, philosophie- und kulturgeschichtlichen Gesichtspunkten durchgeführt werden. Diese Schwerpunkte werden ergänzt durch Arbeiten zum Yogācāra und Madhyamaka in Südasien und Tibet sowie Studien zur Übersetzung von buddhistischer Literatur in europäische Sprachen und zur Rezeption tibetischer Literatur und Philosophie in Europa. Einen weiteren wichtigen Schwerpunkt stellt die langjährige Grundlagenforschung zur handschriftlichen Tradition des tibetischen buddhistischen Kanons, insbesondere dessen Sūtra-Abteilung, im westlichen Himalaya dar, die in eine damit verbundene, groß angelegte Forschungsinitiative (Tibetan Manuscript Project Vienna) gemündet hat, deren Ziel es ist, gefährdete Manuskriptsammlungen kanonischer tibetischer Literatur in den Grenzgebieten des Himalayas zu dokumentieren, zu bewahren und zu erforschen.

Die Tradition der tibetischen Medizin in ihren verschiedenen Aspekten ist als zusätzlicher etablierter Forschungsschwerpunkt im Bereich Tibetologie und Buddhismuskunde hervorzuheben, der sich durch Anwendung vielfältiger, sich ergänzender disziplinärer Ansätze und die besondere Berücksichtigung aktueller Entwicklungen auszeichnet.

Das Institut pflegt enge Forschungskontakte unter anderem mit dem Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien sowie mit dem Institut für Kultur- und Geistesgeschichte Asiens und dem Institut für Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.