Eine südindische Kompilation von Kommentaren zum Nyāyasūtra – das dem ‘Gambhīravaṃśaja’ zugeschriebene Nyāyasūtravivaraṇa: Kritische Ausgabe und textkritische Studie des ersten Kapitels.

27.10.2020

Oliver Frey

  • Betreuung: Karin Preisendanz

Der Zweck dieses Dissertationsprojekts war es, neue Erkenntnisse über das dem Gambhīravaṃśaja zugeschriebene Nyāyasūtravivaraṇa zu gewinnen – seine Originalität, sein Alter und seine Stellung innerhalb der Literatur- und Geistesgeschichte des Nyāya. In einem ersten Schritt wurden alle verfügbaren Informationen über das Werk gesammelt und dokumentiert sowie Kopien der vorhandenen Textversionen in Manuskriptform beschafft. In einem zweiten Schritt wurden die Texte des ersten Kapitels kollationiert und verglichen. Obwohl das Verwandtschaftsverhältnis der Textversionen schon bald klar wurde, wurden die Daten auf verschiedene Weise untersucht und ausgewertet, um besser zu verstehen, wie textkritische Daten im Hinblick auf möglichst genaue Ergebnisse verarbeitet werden können. Als nächstes wurde der Text mit den anderen Kommentaren zum Nyāyasūtra verglichen, um Parallelen zu finden. Schließlich wurde der Text unter Berücksichtigung aller im Rahmen der Untersuchung gesammelten Informationen kritisch ediert. Um Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Vorgehens zu gewährleisten, wurden die Dokumentation der textkritischen Daten und die Rekonstruktion des archetypischen Textes strikt getrennt. 

Die detaillierten Untersuchungen bestätigten, was andere Gelehrte zuvor vorgeschlagen hatten, nämlich dass es sich beim Nyāyasūtravivaraṇa überwiegend um eine Kompilation von Passagen aus Vātsyāyana’s Nyāyabhāṣya und Uddyotakāra’s Nyāyavārttika handelt. Als wichtiges Ergebnis des Projekts konnte gezeigt werden, dass seine sechs Textzeugen in zwei Überlieferungslinien unterteilt werden können: die eine umfasst T, C und dessen Apographen CP, die andere M und dessen Nachkommen MP und ME. T enthält die vollständigste Version des Textes und der Vorfahre von T und C höchstwahrscheinlich die dem Archetyp am nähesten kommende Version. M hingegen scheint die Kopie einer leicht überarbeiteten Version zu sein. Obwohl das Nyāyasūtravivaraṇa keine neuen Ideen oder Konzepte enthält, dokumentiert es, was ein bestimmter Gelehrter zu Beginn des zweiten Jahrtausends als die Kernlehren des aus dem Nyāyasūtra abgeleiteten Prācīnanyāya ansah.