Das nicht menschliche Sinnesorgan Veda. Studie, Sanskrittext und Übersetzung des Kommentars der Bṛhatī Prabhākaras zu Mīmāṃsā-Sūtra 1.1.2 — 1.1.4 und des 'śāstraprakaraṇa' der Bṛhatī

01.10.1999

Joachim Prandstetter

  • Beteuung: Gerhard Oberhammer

 

Die in drei Bände unterteilte Dissertation hat die von Prabhākara in der Bṛhatī vertretene Lehre vom Veda als dem Erkenntnismittel für den Dharma zum Thema. Die Bṛhatī Prabhākaras, dessen Lebenszeit in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts angenommen wird, ist das einzige erhaltene Werk dieses bedeutenden Autors der Mīmāṃsā, der wie sein großer Gegenspieler Kumārila als Gründer einer eigenen Schule der Mīmāṃsā gilt, und stellt einen Subkommentar zu Śabarasvāmins Mīmāṃsāsūtrabhāṣya, seinerseits ein Kommentar zu den Mīmāṃsāsūtren Jaiminis, dar.Der Behandlung liegt eine kritische Edition der Text-Passagen der Bṛhatī zugrunde, in denen Prabhākara seine Lehre dieses Erkenntnismittels entfaltet. Dabei handelt es sich zunächst um den Kommentar zum sogenannten "Codanāsūtra" (MīmSū 1.1.2), in welchem die Erörterung des Erkenntnismittels der vedischen Weisung (codanā) thematisch ist, und jenem zum "Pratyakṣasūtra" (MīmSū 1.1.4), in welchem das Erkenntnismittel der menschlichen Sinneswahrnehmung (pratyakṣa) ersterem kontrastierend gegenübergestellt wird, sowie um den kurzen dazu überleitenden Kommentar zum "Nimittasūtra" (MīmSū 1.1.4) und den Abschnitt im Rahmen des Kommentars zu MīmSū 1.1.5, der diesem Erkenntnismittel dort unter der Bezeichnung "Lehrtext" (śāstra) gewidmet ist.Diese kritische Edition stützt sich auf einen Mikrofilm aus der Asiatic Society of Bengal, der das gesamte erhaltene Manuskript der Bṛhatī umfaßt. Diese Handschrift, die das einzig vollständig erhaltene Manuskript der Bṛhatī darstellt, ist in Devanāgarī-Akṣaras fast durchgängig mit pṛṣṭhamātrās geschrieben. Ein technisch erst zu allerletzt mögliches Scannen des Mikrofilms mit sehr hoher Auflösung hat gezeigt, daß es sich bei diesem Manuskript höchstwahrscheinlich um einen Palimpsest handelt. Die kritische Bearbeitung des Manuskriptes erwies sich in höchstem Maße als notwendig, obwohl der behandelte Abschnitt des Textes der Bṛhatī bereits in zwei Editionen vorliegt, die erste von A. Chinnaswami Sastri (Chowkhamba Sanskrit Series 391. Benares 1929), die zweite in zwei Teilen von S.K. Ramanatha Sastri (Madras University Sanskrit Series 3. Part I-II. Madras 1934-1936), wovon der erste Teil eine durch den Herausgeber korrigierte Fassung enthält, während der zweite Teil den Text "exactly as it is found in the manuscript" wiedergeben soll. Bei genauerer Untersuchung stellte sich heraus, daß die beiden Madras-Editionen gerade ihrem Anspruch nach eher zur Verwirrung beitragen als dabei helfen können, den Text zu erschließen. So korrigierte R. Sastri den Text an Stellen, die im Manuskript richtig sind, während seine Lesung des Manuskriptes unzutreffend ist, oder gab Lesungen unkritisch wieder, die bei genauerer Betrachtung des Manuskriptes als verdorben oder zumindest unsicher zu gelten haben etc. Alle Abweichungen von den genannten Editionen sind in der vorliegenden Arbeit verzeichnet. Darüber hinaus flossen in den kritischen Apparat auch handschriftliche Korrekturen aus dem von Erich Frauwallner verwendeten Exemplar der Editionen ein.Da der Text der Bṛhatī allein nur schwer verständlich ist, wurde auch der Text der Ṝjuvimalā, Śalikanāthas Kommentar zur Bṛhatī, wiedergegeben. Dies schien auch deshalb wichtig, weil sich im Zusammenhang mit abweichenden Lesungen der Editionen der Eindruck ergab, daß die Editoren nicht selten aufgrund bestimmter Schwierigkeiten beim Lesen des Manuskriptes der Bṛhatī sowie wahrscheinlich auch damit im Zusammenhang stehender Verständnisschwierigkeiten ohne genauere Angaben der tatsächlichen Lesungen der Manuskripte der Ṝjuvimalā beide Texte koordinierend in ihren Editionen gemäß ihrer Interpretation korrigiert haben dürften. Aus diesem Grunde konnten auch die Lesungen der Ṝjuvimalā nicht bedenkenlos als Korrektiv herangezogen werden, welchem Umstand nur die Einsicht in die Manuskripte der Ṝjuvimalā Abhilfe hätte schaffen können, was aber den Rahmen dieser Arbeit gesprengt hätte.Einen zweiten Teil der Dissertation bildet die vollständige Übersetzung der ausgewählten Textteile der Bṛhatī sowie der Ṝjuvimalā (p. 339-468). Diese ist so wie die Textausgabe (p. 233-314), in deren Apparat sich umfangreiches Parallelmaterial vor allem auch aus Zitaten und doxographischen Abschnitten bei den Kommentatoren der Schule Kumārilas findet, begleitet von erklärenden Fußnoten, die auch Material der nicht behandelten Textpassagen der Bṛhatī zu MīmSū 1.1.5 miteinbeziehen, um ein möglichst vollständiges Bild der Lehre von diesem Erkenntnismittel zu ermöglichen. In ähnlicher Weise soll auch eine Sammlung von Definitionen, paradigmenhaften begrifflichen Bestimmungen und Aussagen (p. 315-337), in denen Termini der Erkenntnistheorie und Logik in einer ihr begriffliches Verständnis widerspiegelnden Weise vorkommen, das Argumentationsinstrumentarium Prabhākaras überblicksmäßig darlegen und könnte darüber hinaus dort, wo die Begrifflichkeit entschieden durch die Lehre Prabhākaras in der ihr entsprechenden Eigenheit geprägt ist, für die Erschließung späterer Doxographien eine wichtige Hilfestellung bieten. Den dritten Teil bildet eine umfangreiche Studie (p. 15-208), die in drei zusammenhängende Teile zerfällt. Der erste (p. 17-61) stellt den Versuch dar, stilistische Eigenheiten, methodische Elemente der Darstellung, derer sich Prabhākara bedient, und strukturelle Charakteristika der Erörterung in einem religionshermeneutischen Sinne für das Verständnis der Mīmāṃsā im allgemeinen und für Prabhākara im besonderen zu interpretieren. Ein zweiter Teil (p. 62-119) untersucht detailliert die Argumentation, der sich Prabhākara bei der Darstellung seiner Lehre bedient, um akzentuiert zeigen zu können, wie Prabhākara seine spezifische Lehre vom Veda als Erkenntnismittel entwickelt, was notwendig erscheint, da Prabhākaras Formulierungen in ihrer manchmal scheinbar absichtlich vorgetäuschten Harmlosigkeit die Schärfe der philosophischen Position verhüllen, sodaß der Eindruck entsteht, der Text richte sich mit Absicht in verschiedener Weise an Adepten verschiedenen Bildungsgrades. Diese detaillierte Darstellung gelangt im dritten Teil der Studie (p. 120-208) zu ihrer vollen Geltung, da sie es nämlich ermöglicht, zu zeigen, daß Kumārila in seiner Lehre vom Erkenntnismittel "Wort" (śabda) eindeutig gegen Prabhākaras Lehre Stellung bezieht, während sich Prabhākaras Lehre ideengeschichtlich gut zwischen die Positionen des Nyāya-Vaiśeṣika und die von Kumārila vertretene Position einfügen läßt.Ergänzt wird die Arbeit durch einen vollständigen Stellenindex der zitierten Primärliteratur (p. 481-488) sowie einen nach wichtigen Suchwörtern gegliederten Sanskritindex (p. 488-571).