In den tantrischen Traditionen setzt der Praktiker seinen Körper als Werkzeug zur Erlangung der Erleuchtung ein. Alle fünf Skandhas werden in einen alchemischen Prozess eingebunden, um die Kleśas des Geistesstromes in Weisheitsaspekte zu transformieren. Emotionen, herkömmlich als konfliktreich und als Falle für weltliche Verwicklungen betrachtet, sind nicht abzulehnen oder zu läutern, sondern werden als kraftvolle Katalysatoren verwendet, um die Schleier der herkömmlichen dualistischen Sicht zu durchtrennen. Sexuelle Vereinigung ist das mächtigste Mittel zum Öffnen und Stärken der subtilen Körperkanäle. Deshalb spielen Praktikerinnen, so genannte Yoginīs oder Ḍākinīs, eine Schlüsselrolle auf dem Weg. Sie erscheinen in verschiedener Weise (charmant und verführerisch, aber auch zornig und abstoßend) als Botschafter, Ratgeber, Initationsspender, Herausforderer oder Sieger gegenüber dem Praktiker und weisen unter Einsatz mehr von Zeichen und Symbolen als von Worten auf die Wirklichkeit als solche hin. Ihre tragende Rolle im Streben eines Yogi nach Erleuchtung wurde insbesonders in der indischen Mahāsiddha-Tradition verdeutlicht.
In diesem Vortrag wird zunächst die mehrdeutige Rolle der Yoginī oder Ḍākinī gemäß der klassischen tantrischen Literatur Indiens zwischen dem 5. und 13. Jahrhundert erörtert und mit dem Ḍākinī-Mythos im indischen Volksglauben verglichen. Die Ambivalenz der Rolle der Yoginī oder Ḍākinī fand ihre Fortsetzung in den tibetischen Traditionen mit einer radikalen ‘Bowdlerisierung’ tantrischer Riten im Rahmen des monastisch institutionalisierten Tantrayāna. Vor diesem Hintergrund werden die psychosoziale Stellung der Frau im tantrischen Buddhismus und ihre etwaige rituelle ‘Instrumentalisierung’ einer kritischen Analyse unterzogen.