Die Beschäftigung mit Genese und historischer Entwicklung der Philosophie des Buddhis-mus kann in Wien bereits auf eine lange Geschichte zurückblicken. Programma¬tisch ver-folgt die Wiener Forschungstradition die Untersuchung philosophischer Theo¬rien, Be¬griffe und Methoden in ihrem jeweiligen historischen und kulturellen Kontext auf der Ba¬sis originalsprachiger Quellen, die philologisch erschlossen und bearbeitet werden. Der 2004 ermöglichte Zugang zu in Beijing aufbewahrten Kopien von Sanskrit¬handschriften aus der Autonomen Region Tibet verlieh diesen Forschungen zusätzliche Relevanz, da maßgebliche Werke aus verschiedenen Bereichen der buddhistischen Phi¬losophie, zuvor teils nur in tibetischer Übersetzung, teils überhaupt nicht vorliegend, nun erstmals in der Sprache ihrer Abfassung, dem Sanskrit, untersucht werden können. Parallel zu und scheinbar unabhängig von diesen Entwicklungen genießen buddhistische Meditationspraktiken und Bewusstseinstheorien seit geraumer Zeit verstärkte Aufmerk-samkeit. Um das buddhistisch inspirierte Konzept der “Achtsamkeit” wurden eine Reihe therapeutischer Ansätze entwickelt, die etwa zu Stressreduktion oder Konzentrations-steigerung eingesetzt werden. Auch die neurowissenschaftliche Forschung hat den Buddhis¬mus schon vor einigen Jahren entdeckt. Die MIT-Konferenz “Investigating the Mind: Exchanges Between Buddhism and the Bio-Behavioral Sciences on How the Mind Works” war 2003 Initialzündung für interdisziplinäre Forschungen zu den Auswirkungen kontemplativer Praxis auf Gehirn und Verhalten, die aktuell im Rahmen einer sich neu konstituierenden Forschungsrichtung der “contemplative neurosciences” durchgeführt werden.
Lassen sich daraus neue Zugänge zur Philosophie des Buddhismus entwickeln? In die¬sem Vortrag wird der Frage nachgegangen, ob kontemplative Neurowissenschaften aus der Geschichte der buddhistischen Philosophie lernen können — und ob aus ihnen um¬gekehrt neue Möglichkeiten für ein besseres Verständnis historischer Formen zu gewinnen sind.