Die ersten Romane im Hindi, die im ausgehenden 19. Jh. dieses Genre begründeten, dienten häufig der moralischen Erbauung oder waren Abbilder exemplarischer Lebensläufe mit deutlichem gesellschaftlichem Bezug. Devakinandan Khatri (1861-1913) dagegen setzte mit seinem zunächst kapitelweise publizierten Roman Candrakāntā vorrangig auf die Unterhaltung seiner rasch wachsenden Hindi-Leserschaft. Angesiedelt in einer unspezifisch mittelalterlichen Vergangenheit erschuf Khatri eine Parallelwelt voller geheimnisvoller Ereignisse und turbulenter Verwicklungen. Sein Romanzyklus, nach seinem Tod von seinem Sohn fortgeschrieben, erlangte eine immense Popularität.
In einer Zeit der nationalen Neuorientierung erscheint der völlig ausgesparte Gegenwartsbezug und scheinbar gänzlich unpolitische Duktus des Werkes mehr als erstaunlich. Ob der Candrakāntā -Zyklus tatsächlich so weltfern ist, welche überraschend moderne Elemente er enthält und in welcher Hinsicht die Aiyār, gewitzte Alleskönner und die eigentlichen Helden des Romans, womöglich eine ideale Identifikationsfläche für die zeitgenössische Leserschaft boten, wird in diesem Vortrag erörtert.
Barbara Lotz studierte Indologie in Heidelberg und New Delhi. Sie war ab 1992 am Südasien-Institut Heidelberg tätig und leitete von 1994-1999 die Außenstelle des SAI in New Delhi. 2000 promovierte sie in Heidelberg mit einer Dissertation zum Thema: "Poesie, Poetik, Politik. Engagement und Experiment im Werk des Hindi-Autors G.M. Muktibodh (1917-1964)". Gegenwärtiger Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte europäischer Missionen in Chota Nagpur. In Würzburg ist sie seit April 2006 als wissenschaftliche Mitarbeiterin (Lektorin für Hindi) tätig.