Tibetische Madhyamaka-Exegese: spätere Entwicklung

07.02.2007 - 06.10.2010

Leitung: Helmut Tauscher

FWF, P195972

Mitarbeit:

  • Markus Viehbeck

Das vorliegende Projekt hat eine Untersuchung der tibetischen Madhyamaka-Exegese in ihrer späteren Entwicklungen zum Ziel. Diese erfolgt auf der Basis der letzten formativen Periode des Madhyamaka, repräsentiert durch den rNying ma-Gelehrten ’Ju Mi pham (1846–1912) und die Auseinandersetzung zwischen dessen ris med-Bewegung und – hauptsächlich – der dGe lugs pa-Schule. Nachdem sich das Madhyamaka in Tibet als das prägende philosophische System etabliert hatte, waren dessen Grundkonzepte, die Lehre von den zwei Wirklichkeiten/Wahrheiten (satyadvaya) und die damit verbundene Vorstellung der Leerheit (śūnyatā), Objekt zahlreicher vehementer Debatten unter tibetischen Gelehrten, und auch die Dispute des 19. Jahrhunderts zwischen Mi pham und seinen Gegnern konzentrierten sich auf diese Themen. Ausgangspunkt war Mi phams Nor bu ke ta ka, ein innovativer Kommentar zum 9. Kapitel von Śāntidevas Bodhicaryāvatara, einer der indischen Hauptquellen für die betreffenden Konzepte. Die Auseinandersetzungen reichten über einen Zeitraum von zwanzig Jahren und wurden durch den Austausch von polemischen Streitschriften, sogenannten dgag lan-Texten, geführt.

Das Projekt konzentriert sich auf drei wesentliche Aspekte:
A) Edition, Übersetzung und Annotation der relevanten Textstellen. – Das Zusammentragen und Darlegen des betreffenden Textmaterials sowie die Analyse des philosophischen Austauschs und der jeweiligen Positionierung der debattierenden Partner soll nicht nur ein Bild der Madhyamaka-Exegese in ihrer formativen Periode der rezenteren Zeit abgeben, sondern auch Licht auf das Problemfeld der Interpretation von indischen Grundlagentexten durch tibetische Gelehrte werfen.

B) Strukuranalyse der dgag lan-Debatte, ein in der Wissenschaft bisher weitgehend vernachlässigter Themenkreis. – Eine Zusammenschau der Texte als lebendige Debatte soll dem dynamischen Charakter dieser Dispute Rechnung tragen.

C) Der sozio-politische Hintergrund der Kontroversen. – Die Auseinandersetzungen fanden vor dem Hintergrund der sogenannten ris med-Bewegung statt, einer religiösen Bewegung, die durch die Betonung religiöser Vielfalt versuchte, ein Gegengewicht zur Dominanz der dGe lugs pa zu bilden. Unter diesem Blickwinkel ist Mi pham nicht nur als philosophischer, sondern auch politischer Gegner der dGe lugs pa zu sehen. Das Projekt wird untersuchen, in welchem Ausmaß sich dieser Umstand in der philosophischen Auseinandersetzung widerspiegelt.