Schluss mit ungültigen Perspektiven! Polemik gegen das Vaiśeṣika in der Satyaśāsanaparīkṣā des Digambara Vidyānandin vor dem Hintergrund des kritischen Perspektivismus der Jainas

11.05.2009

Himal Trikha

  • Betreuung: Karin Preisendanz / Franz M. Wimmer

In dieser Arbeit werden zwei Textauszüge aus einem in Sanskrit verfassten Werk namens Sat­­yaśāsanaparīkṣā untersucht. Der Autor Vidyānandin, dessen Wirkenszeit in das 9. oder 10. Jh. unserer Zeitrechnung fällt, war ein Jaina, näherhin ein Digambara, d.h. An­ge­­höriger einer der beiden großen Konfessionen des Jinismus, der seinerseits zusammen mit Hin­du­is­­mus und Buddhismus zu den drei großen in Südasien entstandenen religiösen Tra­ditionen zählt. Vid­yānandin gehört einer Gruppe jinistischer Autoren an, die den Vor­zug der ji­nis­ti­schen Leh­re darin sahen, dass diese bei der Darstellung zentraler Inhalte des indischen Den­kens eine Gesamtschau verschiedener mög­li­cher Per­spek­tiven auf die un­ter­suchten Sach­verhalte bietet, die Vertreter anderer Lehren hingegen jeweils nur ein­zel­ne Per­spek­­tiven unter Ausschluss der anderen berücksichtigten und damit zu irrigen Auf­­fas­sun­gen ge­lang­ten. Dieser Anspruch auf die Überlegenheit der jinistischen ge­gen­über an­de­ren Leh­ren wird in den philosophischen Werken der Jainas einerseits durch sys­te­­ma­ti­sche Er­ör­te­rungen zu ihrem perspektivistischen Erkenntnismodell, ande­rer­seits durch die ra­tio­nale De­konstruktion gegnerischer Lehrinhalte abzusichern ge­sucht. Das letz­tere Verfahren kommt in der Satyaśāsanaparīkṣā zur An­wen­dung. Die Schwerpunkte der vorliegenden Arbeit liegen in der Text­­­kon­sti­tu­tion, der Über­setzung und der Klärung des phi­lo­so­phie­ge­schicht­lichen Kon­­texts der im zwei­ten Aus­zug aus der Satyaśāsanaparīkṣā erfolgenden Aus­ein­an­der­setzung Vidyānandins mit dem Vai­­­śeṣika. Vidyānandin übt in diesem Zusammenhang eine sehr scharfe Kri­tik am Welt­bild dieser ihrer religiösen Ausrichtung nach dem Hinduismus zu­zu­rech­nen­den na­­tur­phi­lo­­so­phischen Tradition, insbesondere an dem für sie zentralen Konzept der In­hä­renz. Dies­er kritische Umgang mit dem Vaiśeṣika wird in der ideen­ge­schicht­li­chen Stu­­die der vor­­liegenden Arbeit als Fallbeispiel für die Bezugnahme der Jai­nas auf kon­kurrierende Welt­­­entwürfe und im Kontext ihres perspektivistischen Er­kennt­nis­­modells untersucht. In die­­sem Teil der Arbeit wird anhand der Abgrenzung des für den Jinismus spezifischen Per­spek­ti­vis­mus von anderen pluralistischen Er­kenntnis­mo­del­len die mit dem Haupt­titel der vor­liegenden Arbeit, „Schluss mit ungültigen Per­spek­ti­ven!“, an­ge­­sprochene These ent­­wickelt: Der Ausschluss von Perspektiven führt nicht not­wen­digerweise zu un­voll­stän­­digen und somit irrigen Auffassungen, im Gegenteil – der Aus­schluss bestimmter Per­­spektiven, nämlich jener, die mittels der Methode der Fal­si­fi­ka­tion als irrtümliche iden­­tifiziert werden können, scheint eine unerlässliche Be­din­gung für die rationale Be­grün­­dung eines per­spek­ti­vis­ti­schen Erkenntnismodells zu sein.