Die religiöse Bedeutung von Bergen im tibetischen Kulturbereich: Konzepte – Kulte – Gottheiten (vorläufiger Arbeitstitel)

25.03.2022

Susanne Fleischmann

Berge sind prägende Elemente der menschlichen Lebenswelt im tibetischen Kulturkreis. Die damit verbundenen religiösen Vorstellungen sind einem Wandel unterworfen, dessen Hintergründe nicht restlos geklärt sind.

Das Dissertationsprojekt beschäftigt sich mit der sakralen Bedeutung von Bergen. Leitende Fragestellungen sind: Welche religiösen Konzepte sind mit Bergen verbunden? In welchen kultischen Handlungen drücken sie sich aus? Mit welchen Gottheiten werden sie assoziiert? Wie ordnen sie sich in die sakrale Geografie eines Gebiets ein? Wie sind Veränderungen dieser Konzepte zu erklären?

Die geplante Arbeit hat zum Ziel, grundlegende Elemente, die die sakrale Bedeutung von Bergen ausmachen, herauszuarbeiten, diese in einen historischen Kontext zu stellen und überregionale Zusammenhänge zu untersuchen. Berücksichtigt werden sollen dabei auch die Rolle verschiedener religiöser Traditionen und die Sichtweise von Akteur*innen vor Ort.

Gängige Typologien unterscheiden zwischen Bergen, die mit einer territorialen Gottheit (yul lha) verbunden sind, und „Heiligen Bergen“ im Sinne des Tibetischen Buddhismus (gnas ri). Es wird eine Entwicklung vom ersteren zum zweiteren Typus angenommen, wobei von der Möglichkeit unterschiedlicher Zwischenstufen und auch Überlagerungen ausgegangen wird. Damit sind auch kultische Veränderungen verbunden: Während der yul lha von der regionalen Bevölkerung - meist am Fuß des Berges - verehrt wird, wird der gnas ri von Pilger*innen unterschiedlicher geographischer Herkunft rituell umschritten. Ähnliche Prozesse werden in Bezug auf die Entwicklung hin zu „Heiligen Bergen“ der Bön-Religion beschrieben.

Das räumliche Ordnungsprinzip, das einem gnas ri typischerweise zugrundeliegt, ist das des maṇḍalas. Weithin bekannt ist die Deutung des Kailash (tib. Ti se) als Wohnsitz des Cakrasaṃvara und damit Zentrum des Cakrasaṃvara-maṇḍalas. Dasselbe Ordnungsprinzip wurde auch auf La pyhi und Tsa ri angewandt, die zusammen mit dem Kailash als Manifestationen von Körper, Rede und Geist des Cakrasaṃvara aufgefasst wurden. In weiterer Folge wurde das Konzept auch auf andere Berge übertragen.

Derartige Typologien und Erklärungsmodelle bilden einen Ausgangspunkt für das geplante Dissertationsprojekt. Sie sollen kritisch überprüft, weiterentwickelt und gegebenenfalls durch neue Erklärungsansätze ersetzt werden.

Zur Beantwortung der leitenden Fragestellungen werden Primärtexte (v.a. der tibetischen Genres gnas yig, gnas bshad und dkar chag) übersetzt, erläutert und interpretiert. Geplant ist aber auch, Feldforschung in Form von teilnehmender Beobachtung, Interviews und fotografischer Dokumentation miteinzubeziehen, um neues Material zu religiös bedeutsamen Bergregionen zu generieren.