Der physische Wettlauf zwischen einem buddhistischen Lama und einem indigenen Heiler zu einem Berggipfel ist Thema einer Geschichte, die sich im Himalaya in zahlreichen lokalen Varianten einer grossen Beliebtheit erfreut. Jede der dokumentierten Fassungen führt eine besondere Sichtweise auf Verlauf und Ausgang des Wettkampfes vor. Meist geht daraus der Lama als Sieger hervor, mal rettet der örtliche Schamane durch einen Teilerfolg sein Gesicht, mal endet der Kampf im Patt. Beide übertrumpfen einander in der Anwen-dung nicht ganz sauberer Tricks – steht doch mit ihrem Einsatz einiges auf dem Spiel: die Vormachtstellung einer örtlichen oder einer überregionalen, einer oralen oder einer schriftlichen Tradition, einer alteingesessenen oder einer importierten Religionspraxis.
Die diversen Varianten der Wettkampf-Geschichte sind auf verschiedene Weise über-liefert: als Prosa-Legenden, die man sich bei Gelegenheit erzählt; als Kommentare, die man bestimmten rituellen Aktionen hinzufügt; als feste Bestandteile versgebundener Ritualtexte; als schriftlich fixierte, als mündlich weitervermittelte oder als gemalte Fassun-gen. Die wechselnden Perspektiven der Erzählung und die unterschiedlichen Arten ihrer Präsentation fordern zu Vergleichen mit aufschlussreichen Resultaten heraus.