Dhūmāvatī erscheint in ihrem Tempel im modernen Benares weitgehend als milde, wohlwollende und selbst
mütterliche Göttin. Als mohallā devī, als Schutzgottheit des ihren Tempel umgebenden Stadtviertels, wird
sie für das grundsätzliche Wohlergehen ihrer Verehrer und dabei besonders für Belange der Familie verantwortlich geglaubt. Entsprechend präsentiert sich ihre Verehrungs- und Ritualtradition; sie entspricht weitgehend der in mehreren Aspekten standardisierten Göttinnenverehrung im kontemporären Benares. Verweise auf den tantrischen Ursprung der Göttin finden sich dabei nur noch rudimentär.
Die Schrifttradition der Göttin eröffnet ein anderes, in Vielem gegensätzliches Bild. Alle Sanskritquellen zu
Dhūmāvatī von ihrer Ersterwähnung bis in die Gegenwart präsentieren die Göttin einheitlich als gefahrvoll,
bedrohlich und furchterregend. Entsprechend wird ihr eine tantrische, elitäre Ritualtradition zugeordnet;
Dhūmāvatī wird darin mit der Unschädlichmachung oder Zerstörung von Feinden, uccāṭana, verbunden. Im
modernen Hinduismus werden demnach sanfte, gütige Aspekte der Göttin betont, die in der originären tantrischen Repräsentation nicht erscheinen Dieser Trend der „Versüßung“ tantrischer Göttinnen im rezenten
Hinduismus ist dabei nicht nur für Dhūmāvatī nachweisbar. Als Folge von Transformations- und (Re)Interpretationsprozessen entstanden und entstehen im rezenten Hinduismus in ihrer Repräsentation teilweise radikal gewandelte Göttinnen.
Der Vortrag diskutiert vornehmlich rezente Ritual- und Verehrungsformen der Göttin im Umfeld ihres Tempels
in Benares. Um diese jedoch religionshistorisch adäquat einordnen und in Verhältnis zu generellen Strukturen der „Populärkultur“ hinduistisch-tantrischer Göttinnen im modernen Südasien setzen zu können, wird auch der mittelalterliche tantrische Quellenhintergrund Dhūmāvatīs thematisiert.