Pandemie-Narrative von Tibet und dem Himalaya

01.12.2022 - 30.11.2025

Leitung: Barbara Gerke

FWF, P 36136

Mitarbeit:

  • Jan van der Valk
  • William A. McGrath

KooperationspartnerInnen:

  • Tandin Dorji, Präsident, Norbuling Rigter College, Paro, Bhutan
  • Dendup Chopel, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
  • Sienna R. Craig, Orvil Dryfoos Professor of Public Affairs, Department of Anthropology, Dartmouth College
  • Nawang Tsering Gurung, Koordinator des Oral-History-Projekts “Voices of the Himalayas,” New York
  • Tawni L. Tidwell, postdoctoral research associate, University of Wisconsin-Madison
  • Tenzin Namdul, assistant professor, University of Minnesota

Projekt-Website: pandemic-narratives.univie.ac.at


In diesem Projekt beschäftigen wir uns mit der Erforschung historischer und gegenwärtiger tibetischer Pandemie-Narrative. Ein besonderer Fokus liegt auf Prophezeiungen, tibetischen Medizin (Sowa-Rigpa)-Theorien über Infektionskrankheiten, Schutzpillen, therapeutischen Rezepturen und buddhistischen Ritualen. Wir untersuchen Pandemie-Narrative aus dem Himalaya und Tibet aus religiöser (Einheit 1), medizinischer (Einheit 2) und ökologischer Sicht, mit besonderem Augenmerk auf Geister, Götter und Krankheitserreger (Einheit 3). Wir erforschen die Geschichte tibetisch-buddhistischer und medizinischer Reaktionen auf Epidemien und erschließen zeitgenössische (Neu)-Interpretationen buddhistischer Schriften, medizinischer Therapien und ökologischer Sichtweisen des Himalayas. Unser Ziel ist es, die Vergangenheit durch einen narrativen Ansatz in ein Gespräch mit der Gegenwart zu bringen. Auf diesem Weg erhoffen wir uns ein tieferes Verständnis der Reaktionen auf die aktuelle Pandemie sowohl aus Tibet als auch dem Himalayaraum.

Der buddhistische Text Ambrosia Vase aus dem 13. Jahrhundert beinhaltet Anweisungen zu einer speziellen schwarzen Amulettpille mit neun Zutaten und anderen anti-epidemischen Rezepturen. Diese kommen heute seitens der tibetischen Medizin weltweit zur Prävention und zur Behandlung von COVID-19 zum Einsatz. Unser Projekt stellt diesbezüglich zwei Hypothesen auf: (1.) Die Ambrosia Vase entstand als direkte Reaktion auf einen Ausbruch des Schwarzen Todes in Tibet; und (2.) die im 13. und 14. Jahrhundert entwickelten Endzeit-Prophezeiungen, Krankheitskategorien, Schutzpillen, medizinischen Rezepturen und rituellen Auseinandersetzungen mit Krankheitserregern prägen bis heute die Reaktionen auf Infektionskrankheiten in Tibet und den Himalayaregionen. Für die Erprobung der Hypothesen analysiert das Team aus philologischen und ethnographischen Perspektiven (in Indien, Nepal und Bhutan, sowie online) Prophezeiungen und die mit ihnen verbundenen rituellen und medizinischen Anweisungen. Desweiteren streben wir eine Untersuchung der Vorstellungen von Ansteckung sowie die aktive Rolle nicht-menschlicher Wesen in heutigen Endzeitnarrativen an. In einer kollaborativen und vergleichenden Online-Komponente analysieren wir Pandemienarrative, die in tibetischen und Himalaya-Gemeinschaften in New York (2020) dokumentiert wurden, als auch Therapieansätze in einer Beobachtungsstudie mit 15 tibetischen Medizinern, welche 140 Patienten mit leichten bis mittelschweren COVID-19 Symptomen behandelten (USA und Kanada, 2020).

Das aktuelle Verständnis des Schwarzen Todes und seiner globalen Geschichte lässt sich durch unsere Textanalyse tibetischer religiöser und medizinischer Quellen neu definieren. Dabei beziehen wir die neueste genetische Forschung über den Schwarzen Tod und seinen möglichen Ursprung in Zentralasien und Tibet mit ein.

Zusammenfassend präsentiert dieses Projekt die erste nuancierte Studie von Sowa Rigpa Theorien über Infektionskrankheiten und zeigt, wie frühere Narrative heutige Pandemien beeinflussen.

"Bitte!" (thugs rje gzigs). COVID-19-Aufklärungsposter, gemalt von einer Studentin am Central Institute of Buddhist Studies, Choglamsar-Leh, Ladakh. Foto: Jan van der Valk.