Epidemien und Krisenmanagement im vormodernen Südasien

01.03.2022 - 28.02.2026

Leitung: Vitus Angermeier

FWF, P 35301G

Während die koloniale und moderne Geschichte von Epidemien in Südasien gut erforscht ist, wurde die frühere Entwicklung dieses Themengebiets bisher kaum untersucht. Das Projekt „Epidemics and Crisis Management in Pre-modern South Asia“ will einen Teil dieser Lücke füllen, indem es die Geistesgeschichte von Epidemien und ähnlichen Katastrophen in Südasien und ihre medizinischen, religiösen, sozialen, politischen und philosophischen Aspekte durch eine umfassende Untersuchung der relevanten Sanskrit-Literatur aus dieser Zeit erforscht.

Das Projekt legt seinen Schwerpunkt auf die sogenannte klassische Periode die ab dem 6. Jahrhundert v. Ch., nach dem Ende der vedischen Ära, mit der Entstehung einer Stadtkultur in der Ganges-Yamuna-Region beginnt und mit dem Untergang des Gupta-Reichs im 6. Jh. n. Ch. endet. Diese Phase umfasst zwei historisch äußerst wichtige epidemiologische Entwicklungen. Die erste besteht in der Ausbreitung von nicht genau bestimmbaren Krankheiten wie Pocken, Masern und vielleicht Typhus in ganz Eurasien, die Europa als Seuche von Athen (429-426 v. Chr.) und ein zweites Mal als die Antoninische Seuche (165-180 n. Chr.) erreichten. Die zweite Entwicklung ist die Ausbreitung der Beulenpest, die in Europa in der so genannten Justinianischen Pest (541-542 n. Chr.) gipfelte. Mit einiger Wahrscheinlichkeit hatten zumindest die beiden späteren Ereignisse ihren Ausgangspunkt in Südasien, wie McNeill in seinem 1976 erschienenen Klassiker zur Globalgeschichte der Seuchen Plagues and Peoples argumentiert. Folgt man seinen Argumenten, so ist diese klassische Periode eine kritische Phase, in der mehrere Einwanderungswellen zu Auseinandersetzungen nicht nur zwischen den Neuankömmlingen und den früheren Bewohnern des Subkontinents, sondern auch zwischen den Krankheitsherden beider Gruppen führten. Die Neuankömmlinge mussten sich zwangsläufig an die lokalen Krankheitserreger, Parasiten und klimatischen Bedingungen gewöhnen, was zu allerlei unerwartetem Elend führte. Ähnlich wie in der besser dokumentierten Situation in Amerika nach der Entdeckung durch Kolumbus litt die bereits ansässige Bevölkerung Südasiens wohl schwer unter neu eingeschleppten Krankheiten oder war sogar vom Aussterben bedroht. Hinzu kam, dass die Verstädterung und die damit verbundene erhöhte Bevölkerungsdichte zu ungehinderten Ansteckungsszenarien führte, eine wesentliche Voraussetzung für das Auftreten von Epidemien. Daher verspricht eine Konzentration auf die klassische Phase die interessantesten Ergebnisse und ermöglicht ein besseres Verständnis der epidemiologischen Entwicklung während der gesamten Vormoderne. Ziel des Projektes ist, Material für eine umfassende historische Perspektive dieser Ereignisse zu liefern, indem Erkenntnisse aus einer Vielzahl von wissenschaftlichen, religiösen, kunsthistorischen und archäologischen Quellen zu einer Kultur- und Geistesgeschichte der Epidemien im vormodernen Südasien zusammengeführt werden.

KooperationspartnerInnen:

  • Karin Preisendanz, Universität Wien
  • Julia Shaw, University College London
  • Dominik Wujastyk, University of Alberta
  • Kenneth Zysk, University of Copenhagen