Die Jātaka-Inschriften im skor lam chen mo des Klosters Zha lu. Einführung, textkritische Studie, diplomatische Edition der Paneele 1-8 mit Sanskritparallelstellen und einer deutschen Übersetzung

29.05.2001

Kurt Tropper

  • Betreuung: Ernst Steinkellner / Deborah Klimburg-Salter

In dem großen Umwandlungskorridor (skor lam chen mo) des Klosters Zha lu (Zentraltibet) befindet sich ein ausgedehnter Inschriftenzyklus, der von mir während mehrerer Besuche von 1996 bis 1998 photographisch dokumentiert wurde. Die 95 noch erhaltenen Inschriften-Paneele (von ursprünglich 103) sind mit Wandmalereien kombiniert und enthalten Auszüge aus einem umfangreichen Werk, das allgemein unter dem Kurztitel sKyes rabs brgya pa bekannt ist. Dieser Text setzt sich aus zwei Teilen zusammen, nämlich 1) der auch in den derzeit verfügbaren fünf Tanjur-Editionen (i.e. den Versionen von Cone [C], Derge [D], Ganden [G], Narthang [N] und Peking [Q]) überlieferten tibetischen Übersetzung von Āryaśūras Jātakamālā, und 2) einer literarischen Schöpfung des dritten Karma pa, Raṅ byuṅ rdo rje (1284-1339), die 66 weitere Jātakas sowie eine abschließende Beschreibung der Hauptereignisse im Leben des Buddha Śākyamuni enthält. Historische Quellen und der Stil der Malereien deuten darauf hin, daß der gesamte Zyklus von Inschriften und Malereien kurz vor der im Jahre 1334 von Bu ston durchgeführten Kompilation des oft als editio princeps des Tanjur bezeichneten Corpus von Texten entstand.

Der einleitende Teil der Arbeit enthält neben einer allgemeinen Beschreibung der Inschriften-Paneele und ihrer Anordnung auch eine Erhebung ihrer paläographischen und orthographischen Besonderheiten sowie eine kurze Darstellung der historischen Hintergründe. Er beinhaltet weiters eine Diskussion der möglichen Funktionen von solchen Inschriften, die Auszüge aus Kanjur- oder Tanjur-Texten wiedergeben. Hier werden insbesondere Verbindungen mit dem sogenannten “Buchkult” skizziert, der in der Entwicklung des Mahāyāna-Buddhismus eine wesentliche Rolle spielte und bei dem Texte als gegenständliche Objekte verehrt wurden. Als Träger und physischer Repräsentant buddhistischer Lehren könnten die Inschriften ursprünglich in ganz ähnlicher Weise vorwiegend als ein Objekt der Verehrung gedient haben.

Die den einleitenden Kapiteln folgende stemmatische Analyse basiert auf dem Text der ersten acht Paneele, die den Prolog und Auszüge aus den ersten sieben Erzählungen der Jātakamālā des Āryaśūra enthalten. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, daß der Inschriftentext mit großer Wahrscheinlichkeit von den beiden Zweigen der Überlieferung, die durch die fünf Tanjur-Versionen (alle 18. Jh.) gebildet werden, unabhängig ist, und sie befinden sich somit gänzlich im Einklang mit der oben erwähnten frühen Datierung der Inschriften. Aus textsemantischer Sicht sind die Unterschiede zwischen dem Inschriftentext und den entsprechenden Passagen in den fünf Tanjur-Versionen jedoch von sehr geringer Bedeutung. Vorausgesetzt, daß die Inschriften tatsächlich aus der Zeit vor 1334 stammen und die untersuchten Passagen repräsentativ für die Gesamtsituation sind, deutet dies darauf hin, daß Bu stons Editionstätigkeit hauptsächlich in der Sammlung, Sortierung und Anordnung der verschiedenen Texte bestand aber keine größere Überarbeitung ihres Wortlauts und ihrer inneren Struktur mit einschloß. Die stemmatische Analyse zeigt ferner, daß auch ein für die Studie kollationierter Blockdruck aus Lhasa von den fünf Tanjur-Versionen unabhängig ist. Letztere wiederum folgen dem üblichen Muster, bei dem CD den einen Zweig der Überlieferung bilden und GNQ den anderen. Der eingehende Vergleich ihrer signifikanten Varianten mit den entsprechenden Passagen des Sanskrittextes macht jedoch deutlich, daß die Lesarten in GNQ denen in CD in fast doppelt so vielen Fällen vorzuziehen sind als umgekehrt.

Der Hauptteil der Arbeit enthält die diplomatische Edition der ersten acht Paneele, die durch einen kritischen Apparat mit den Lesarten der fünf Tanjur-Versionen und des Blockdrucks aus Lhasa ergänzt ist. Die entsprechenden Passagen des Sanskrittextes sowie eine annotierte deutsche Übersetzung sind in synoptischer Form beigefügt.